Franz Hohler

Die Rückeroberung



Eines Tages, als ich an meinem Schreibtisch saß und zum Fenster hinausschaute, sah ich, daß sich auf der Fernsehantenne des gegenüberliegenden Hauses ein Adler niedergelassen hatte. Ich muß dazu sagen, daß ich in Zürich wohne und daß Adler bei uns nur in den Alpen vorkommen, am nächsten von hier vielleicht in den Bergen von Glarus, etwa 50 Kilometer von der Stadt entfernt. Trotzdem war ich sicher, daß dies ein Adler war, seine erstaunliche Größe, die herausfordernde Haltung des Kopfes wiesen mich an jenen ausgestopften Vitrinenvogel im Schulhaus meiner Jugend zurück, an dem wir auf dem Weg zur Turnhalle immer vorbeigehen mußten und der auf einem Kartentäfelchen mit "Steinadler" angeschrieben war. Es war für mich ganz klar, daß da drüben auf der Antenne des Nachbarhauses ein Steinadler saß. Vielleicht, dachte ich, ist er aus dem Zoo entkommen oder aus einer Volière, aber dann fiel mir ein, daß ja diesen Tieren meist die Flügel gestutzt werden, so daß sie nur noch ein paar armselige Hüpfer machen können. Und wenn er sich verirrt hat, dachte ich weiter, das kann doch einem Tier auch einmal passieren, doch ich hatte sofort das Gefühl, daß das dem Tier dort drüben nicht passieren konnte. Auch daß es sich einfach auf eines der Häuser setzte, kam mir merkwürdig vor. Vorher lebten wir einige Jahre auf dem Land, und da ärgerte ich mich immer, daß die Mäusebussarde, die ich hoch oben schweben sah, nie in unsern Garten kamen, um die Mäuse zu fressen, und ich hörte dann, daß Raubvögel die Nähe der Häuser scheuten; auch die Stange, die ich ihnen weit vom Haus weg hingestellt hatte, verschmähten sie, während Jahren hatte sich kein einziges Mal einer heruntergewagt, und nun saß auf dem gegenüberliegenden Dach, inmitten von andern Dächern, ein Steinadler und schaute, den Kopf leicht schräg, auf die Straße hinunter, wo ihn noch niemand bemerkt zu haben schien.

Ich beschloß, meine Frau zu rufen und ging einen Stock tiefer, in die Familienwohnung, aber als wir zurückkamen, war der Adler verschwunden. Hoch über dem Hotel International, das von meinem Fenster aus sichtbar ist, glaubte ich ihn kreisen zu sehen, aber meine Frau hatte recht, wenn sie sagte, das könne ebensogut ein Bussard sein oder sogar eine Möwe.

Als er ein paar Wochen später zurückkam, war ein zweiter Adler mit ihm, und zusammen begannen sie nun auf dem Nachbarhaus ein Nest zu bauen, zwischen dem Antennensockel und dem Kamin, an welchen sich eine kleine Kuppel anschließt, an der geborgensten Stelle des Daches. Die Nachbarn, die nicht wußten, wie sie sich verhalten sollten, ließen sie vorerst gewähren, und innert kurzer Zeit war ein Horst entstanden, in dem nun dauernd einer der beiden Adler saß, während der andere Jagd auf Mäuse, Eichhörnchen und kleine Katzen machte.

Nätürlich erregten die Vögel ziemliches Aufsehen, um so mehr als sie nicht die einzigen blieben. Aus der ganzen Stadt trafen Meldungen von neu angelegten Adlernestern ein, der ornithologische Verein erstellte ein Verzeichnis, das er laufend nachführte, die Biologen beschäftigten sich mit der plötzlichen Veränderung in den Gewohnheiten dieser seltenen Tiere und fanden keine Erklärung dafür. So schnell, sagten sie, wechsle in der Tierwelt normalerweise kein Lebewesen seine angestammte Umgebung. Die Leute wurden ermahnt, zu ihren kleineren Haustieren gut Sorge zu tragen, Hunde wenn möglich an die Leine zu nehmen und Meerschweinchen und Kaninchen nicht in offenen Gehegen herumlaufen zu lassen. Im übrigen beschloß man aber von seiten der Stadtbehörden, die Adler zu tolerieren, da es sich zeigte, daß sie sich nicht zuletzt auch von Ratten ernährten, von denen es in unserer Stadt mehr als genug gibt.

Schon hatte man sich daran gewöhnt, daß auf der Straße plötzlich ein Adler neben einem zu Boden gehen konnte, um eine streunende Katze zu Tode zu beißen, als ein neuer Vorfall die Leute beunruhigte.

An einer Ampel am Bellevue, das ist einer der verkehrsreichsten Plätze Zürichs, wurde eines Morgens ein Hirschgeweih gefunden. Dieses Hirschgeweih, da war kaum ein Zweifel möglich, war in derselben Nacht abgestoßen worden, und es war nicht irgendein Hirschgeweih, sondern eines mit vierundzwanzig Enden. Eine Nachfrage bei den schweizerischen Wildhütern ergab, daß der größte bekannte Hirsch im Bann Beverin lebte und ein Zweiundzwanzigender war. Der Bann Beverin liegt im Kanton Graubünden, und die Hirsche gehören bei uns zu den Tieren, die sich im Lauf dieses Jahrhunderts fast gänzlich aus dem Mittelland zurückgezogen haben. Da aber niemand diesen Hirsch beim Abstoßen beobachtet hatte und er auch in den nächsten Tagen und Wochen nirgends gesehen wurde, weder in der Stadt noch in den paar Wäldern der Umgebung, nahm man zuletzt an, das Geweih sei von jemandem dort hingelegt worden, der es kurz zuvor irgendwo in den Bergen gefunden haben mußte und offenbar nicht über dessen hohen Wert im Bilde war.

Deshalb rechnete auch niemand mit dem, was etwa drei Monate später, an einem der ersten Sommertage geschah. Ein Morgenspaziergänger rief um 4 Uhr früh bei der Polizei an, in der Parkanlage beim Bürkliplatz hielten sich eine Anzahl Hirsche auf und versperrten die Fußwege. Zwei ausrückende Polizisten fanden diese Angabe bestätigt und lösten einen Großalarm aus, denn sie sahen, daß sich nicht nur einzelne Hirsche zwischen den Büschen bewegten, sondern daß es sich um eine ganze Herde handeln mußte, deren genaue Größe schwer auszumachen war, sie konnte aber ohne weiteres in die Hunderte gehen. Die Parkanlage wird auf der einen Seite durch das Seeufer begrenzt, auf der andern durch zwei breite Straßen, und so entschloß sich die Polizei nach Rücksprache mit dem Zoodirektor, den Park abzusperren, um dann die Tiere einzeln einzufangen oder abzuschießen.In aller Eile wurden große Rollen elektrischer Drähte herbeigeschafft, wie man sie zum Einzäunen von Kuhweiden braucht, und als gegen 7 Uhr der Morgenverkehr anzurollen begann, war die gesamte Parkanlage mehrfach mit geladenen Drähten vor den Hirschen gesichert, welche in größter Ruhe, mit gleichmäßig mampfendem Geräusch Rasen, Blumenbeete und Bäume abfraßen. Während man sich das weitere Vorgehen überlegte, stieß gegenüber vom Kongreßhaus ein riesiges Tier mit seinem Geweih die Drähte hoch und zerriß sie mit einem Ruck, ohne dabei den geringsten Schaden zu nehmen. Dieses Tier war der Vierundzwanzigender, der nun an der Spitze der ganzen Herde auf die Straße hinaustrabte, dem Bellevue entgegen.

Niemand wußte, wie man diesen Hirschen beikommen konnte. Scharfschützen waren aufgeboten, Wildhüter und Jagdaufseher kamen dazu, aber inmitten der dichtbelebten Straßen war an ein Abschießen gar nicht zu denken, und die Herde hielt sich nur an dichtbelebte Straßen, sie überquerte, von Fahrzeugen der Polizei gefolgt, das Bellevue und ging nachher gemächlich den Limmatquai hinab. Die Verwirrung war groß. Die Tramwagen stauten sich, ohne daß sich die Passagiere getrauten, auszusteigen, die Automobilisten versuchten ihre Wagen auf das Trottoir zu steuern, einige ließen angesichts der nahenden Herde ihr Auto mitten auf der Straße stehen und flüchteten in einen Hauseingang, andere kurbelten ihre Scheiben hoch und blieben sitzen, sie verschwanden in den Tieren wie ein Stein in den Fluten. Eine eigenartige Stille begleitete den ganzen Zug. Überall wurden die Motoren abgeschaltet, und man hörte nur das Schleifen und Scharren der vielen hundert Hufe auf dem Asphalt, ab und zu splitterte eine Scheibe, oder Autokarosserien wurden angekratzt, doch die Leute verhielten sich mucksmäuschenstill. Polizisten eilten zu Fuß der Herde voraus und versuchten die Leute vorzuwarnen, vom Einsatz von Lautsprechern sah man nach dem Rat des Zoodirektors ab, um durch den Lärm keine Panik unter den Hirschen zu verursachen, denn ein Durchbrechen der Herde war das, was man am meisten fürchtete. Die Erwartung, daß sich die Hirsche wieder einen Weg aus der Stadt heraus suchen würden, um in irgendeinen der umliegenden Wälder zu gelangen, erwies sich als falsch, die Route, welche die Tiere wählten, sah viel eher nach einer Stadtbesichtigung aus. Beim Central bogen sie abrupt nach rechts ins Niederdorf ein, welches sie beim Predigerplatz wieder verließen, um sich, nachdem sie das wenige Grün beim Pfauen abgefressen hatten, erneut nach rechts zu wenden, die Rämistraße hinunter, zum zweitenmal das Bellevue überquerten und sich dann nicht dem Üetliberg zu bewegten, wie alle hofften, sondern bei den Stadthausanlagen nach rechts in die Bahnhofstraße einschwenkten. Am Paradeplatz verriegelten die Großbanken ihre Portale, die Bijoutiers und Pelzhändler ließen die Rolladen über ihre Türen rasseln und blickten angstvoll aus den Schaufenstern auf die braunen Leiber, die sich unaufhaltsam vorbeidrängten und die Straße in ihrer ganzen Breite ausfüllten. Bereits hatte man mit der Abschrankung der Bahnhofunterführung begonnen und das große Sperrgitter des Hauptbahnhofs gezogen, als die Herde beim Modissa-Haus überraschend nach rechts abbog, der Rudolf-Brun-Brücke zu. Wenig später - die ersten Tiere waren gerade unter der Brücke bei der Hauptwache durch - setzte ein Platzregen von großer Stärke ein, der die Herde mit einemmal zum Stehen brachte.

Der Vierundzwanzigender, welcher ständig die Spitze der Herde innehielt, hob den Kopf in die Höhe, schaute sich um und strebte dann in leichtem Trab dem Parkhaus Urania zu, wohin ihm alle andern Tiere folgten. Das war eine unerwartet günstige Entwicklung. Sobald die Hirsche drinnen waren, wurden Ein- und Ausfahrt der Parkgarage mit Lastwagen verbarrikadiert, so daß die Herde gefangen war.

Der Entscheid, zu schießen, wurde sehr rasch getroffen. Über die Lautsprecheranlage wurden die gerade im Parkhaus befindlichen Leute aufgefordert, unbedingt in ihren Wagen zu bleiben und dem Ein- und Ausgangstor fernzubleiben, etwas, das übrigens, den gegen außen dringenden Schreien nach, nicht allen gelang, und nun postierte man schräg gegenüber der Ein- und Ausfahrt mehrere Polizeisoldaten mit Maschinengewehren, die durch die besten Scharfschützen des städtischen Korps verstärkt wurden. Man wartete das Ende des Regens ab, dann fuhren die Lastwagen von den Toren weg, und eine Knallbombe wurde ins Parkhaus hineingeworfen. Die Detonation tat ihre Wirkung. Mit einem mächtigen Sprung setzte der Vierundzwanzigender aus dem dritten Stock des offenen Rundaufgangs hinaus, und die ganze Herde folgte ihm in so kurzer Zeit, daß es den sofort ihren Standort wechselnden Scharfschützen nur gelang, den einen oder andern Hirsch abzuschießen, aber ein Maschinengewehreinsatz kam wegen der in die Schußlinie geratenden Häuser am Lindenhof nicht in Frage. Eine einzige Hirschkuh verirrte sich in den unteren Ausgang und wurde von einer zornigen Garbe erfaßt, zugleich mit der Tanksäule, so daß sich das Blut des erlegten Tieres mit dem auslaufenden Ö1 zu einer rotbraunen Lache vereinigte.

Wie nach einem Plan löste sich nun aber die Herde auf und zog in Grüppchen von drei oder zwei Hirschen durch die ganze Stadt, viele Hirsche waren auch allein unterwegs. Die Bilanz dieses Morgens war nicht gut. Erschossen worden waren nur elf Tiere, die Gesamtzahl schätzte man auf mindestens dreißigmal so viel; zudem waren vier Personen im Parkhaus verletzt worden, eine davon, eine Frau, welche von den Hirschen zertrampelt worden war, lebensgefährlich.

Da die Hirsche die Stadt nicht mehr verließen, oder wenn sie es einmal taten, nach kurzer Zeit wieder zurückkehrten, wurde nun eine Spezialeinheit der Polizei zur Hirschbekämpfung gebildet. Das war eine äußerst heikle Aufgabe, vor allem weil der Gebrauch der Schußwaffe selten ohne Gefährdung von Menschen möglich war. Man schickte deshalb einige Männer nach Amerika, wo sie von Cowboys im Lassowerfen ausgebildet wurden. Aber auch ihnen gelang es nicht, die Hirsche aus der Stadt zu vertreiben. Man gewöhnte sich einfach an das Bild eines durch eine Einbahnstraße preschenden Hirsches, der zu Pferd von einem lassoschwingenden Polizisten verfolgt wurde.

Das hat auch etwas Schönes, gewiß, und auf eine Art ist es eine Bereicherung des Stadtlebens, aber irgendwie ist mit diesen Tieren auch der Schrecken wieder eingezogen. Das Schreien einer Katze zum Beispiel, die sich gegen den tödlichen Zugriff eines Adlers wehrt, ist fast nicht auszuhalten. Wer an einem Herbstmorgen von den tiefen und unnachgiebigen Brunstrufen der Hirsche aus dem Schlaf gerissen wird, welche von den Häuserfronten wie von Felswänden widerhallen, der bleibt wach für diesen Tag, und wo immer in der Stadt zwei Hirsche aufeinander losstürzen und sich mit krachenden Geweihen ineinander verkeilen, ist die Straße augenblicklich leer.

Jedenfalls hielten sich Adler und Hirsche bis zum Herbst, und als der Winter kam, blieben sie erst recht, sie zogen sogar neue Gäste nach sich.

Beim Hirsch, der an einem nebligen Vormittag in der Mitte des Hardturmstadions gefunden wurde und von dem außer Haut und Knochen nur noch die blutigen Innereien dalagen und den Schnee ringsum rot färbten, dachte man zuerst, er sei von Hunden angefallen worden, aber als der Kantonstierarzt die Spuren sah, wurde er unsicher und ließ einige Biologen kommen. Gemeinsam studierten sie nun den Schauplatz und gaben dann ihren Bescheid bekannt. Diese Spur, sagte der Kantonstierarzt, während das Biologenteam hinter ihm düster zu Boden blickte, stammt vom Wolf, und wir haben es hier nicht mit einem einzelnen Wolf zu tun, sondern mit einem ganzen Rudel.

Es dauerte eine Weile, bis zum erstenmal ein Wolf gesehen wurde, lange Zeit traf man immer nur ihre Spuren an. Offenbar hatten sie es auf die Hirsche abgesehen, denn der Hirsch vom Hardturmstadion blieb nicht der einzige, etwa alle zwei bis drei Tage fand man irgendwo in der Stadt ein ähnlich zugerichtetes Tier. Die ersten, die dann die Wölfe zu Gesicht bekamen, waren die Kinder aus der Schulklasse meines achtjährigen Buben. Als sie an einem Morgen in der Turnstunde am Waldrand des Käferbergs schlittelten, waren die Wölfe plötzlich da und stürzten sich auf den hintersten der Gruppe, den Sohn eines Jugoslawen. Er habe nur einmal geschrien, sagte die Lehrerin, die vor Entsetzen außer sich war, anscheinend hatten ihm die Wölfe gleich die Halsschlagader durchgebissen. Als die Polizei eintraf, konnte sie nur noch der Blutspur folgen, die zur Nähe des Waldweihers führte. Dort lag das, was die Wölfe von Ilja übriggelassen hatten, die Wölfe selbst aber waren verschwunden und konnten auch von den eingesetzten Hunden nicht aufgetrieben werden, ihre Fährte verlor sich beim Friedhof Nordheim.

Von nun an herrschte in Zürich der Ausnahmezustand. Nicht, daß er ausgerufen worden wäre, aber er war da. Die Schulen begannen zusammen mit den Eltern den Schulweg der Kinder so zu organisieren, daß immer gruppenweise in Begleitung von Erwachsenen gegangen wurde, den wehrpflichtigen Männern wurde auch gestattet, mit entsichertem Sturmgewehr die Kindergruppen zu begleiten. Mein Sohn war zutiefst verstört durch das Ereignis, das seine Klasse getroffen hatte, er beruhigte sich erst etwas, als ich ihm ein großes Pfadfindermesser kaufte, das ich ihm bislang verweigert hatte, weil es mir zu gefährlich schien. Dieses Messer gürtete er sich nun immer um, wenn er mit den andern Kindern zur Schule ging, wo übrigens eine Stellvertreterin unterrichtete, denn die Lehrerin hatte einen solchen Schock erlitten, daß sie wochenlang vor keine Klasse mehr treten konnte.

Die Behörden unternahmen jetzt große Anstrengungen, um dieses sonderbare Geschehen in den Griff zu bekommen. Daß jedes Jahr ein paar Kinder unter den Autos starben, daran hatte man sich gewöhnt, das war eben ein möglicher Tod in der Stadt, aber daß Kinder von Wölfen zerrissen werden, das sollte nicht vorkommen, nicht in einer Stadt wie Zürich. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, Vorschläge zu machen, die von einem Krisenstab geprüft wurden, man gab für Inhaber eines Jagdpatentes sämtliche Wölfe zum Abschuß frei, und auch die Adler und Hirsche, denn man hatte eingesehen, daß diese Erscheinungen alle zusammenhingen, man appellierte zugleich an die Schützen, nur dann zu schießen, wenn mit Sicherheit kein Menschenleben gefährdet wurde. Daraufhin besserte sich die Situation etwas. In kurzer Zeit wurden mehr Tiere erlegt als die Spezialeinheiten bisher zur Strecke gebracht hatten, und auch was man nicht zu hoffen gewagt hatte, trat ziemlich rasch ein. Es gelang nämlich, das Wolfsrudel in eine Falle zu locken. Man hatte einen verwundeten Hirsch in eine Sackgasse im Friesenbergquartier gestellt, wo man ihn mit genügend Futter zurückhalten konnte, und tatsächlich erschien gegen Morgen das ganze Rudel Wölfe und machte sich über ihn her, so daß die Maschinengewehrschützen, die der Straße entlang in den oberen Stockwerken der Reihenhäuser Stellung bezogen hatten, die Tiere ohne Mühe erschießen konnten, 33 Wölfe waren es, die innerhalb einer knappen Minute mit aufgerissenen Schnauzen am Boden lagen. Zürich atmete auf, der Forstbeamte, der diese Idee gehabt hatte, erhielt Hunderte von Telegrammen und Anrufen mit Gratulationen, am Abend war die Stadt in festlicher Stimmung, es gab Freinacht, und in vielen Restaurants wurde gratis Bier ausgeschenkt.

Am andern Morgen mußte der Flughafen gesperrt werden, weil auf der Kreuzung zwischen der Start- und der Landepiste ein halb aufgefressener Hirsch lag. Die Untersuchung ergab: es waren Wölfe.

Von da an begann man sich langsam darauf einzurichten daß man diese Tiere möglicherweise nicht loswerden konnte; sondern irgendwie mit ihnen leben mußte. Wo sie herkamen, wußte man nicht, sie wurden nirgends vermißt und es wurde auch keine andere Stadt von ihnen heimgesucht, weder in der Schweiz noch sonstwo in Europa, Zürich war ganz allein betroffen, und niemand wußte warum. (...)



aus: Franz Hohler, Die Rückeroberung. Copyright © 1982, 1984 by Luchterhand Literaturverlag GmbH, Hamburg. Jetzt: Luchterhand Literaturverlag GmbH, München.